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F U S S B A L L   U N D   G E W A L T
"Nur weil ich Türke bin?"

(aus Spiegel 6/2001)

Die Gewalt bei Spielen im Amateur-Fußball nimmt wöchentlich zu. Mit einem Pilotprojekt in Niedersachsen soll Rassismus und Brutalität die rote Karte gezeigt werden: Jugendkicker werden zu Konfliktlotsen ausgebildet.

Foulspiel: Gewalt auf und neben dem Spielfeld

Hannover - In Niedersachsen ist die Fußballwelt schon lange nicht mehr in Ordnung. In den letzten Jahren verzeichnete der Niedersächsische Fußballverband (NFV) einen massiven Anstieg der Auseinandersetzungen zwischen jungen deutschen und ausländischen, zumeist türkischstämmigen Amateur-Fußballern. Mal endete ein Spiel mit Beleidigungen, mal mit Tritten, einem Schiedsrichter wurden Schneidezähne herausgeschlagen. Zuletzt gipfelten die Auseinandersetzungen in einer Messerstecherei unter Zuschauern.

"Während deutsche Spieler eher nach rüden Fouls des Gegenspielers ausrasten", erklärt Henning Schick, Referatsleiter Ausländer-Integration beim NFV, "werden Migranten eher nach umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen und Beleidigungen aggressiv." Nach Beobachtungen des Sportsoziologen Gunter Pilz von der Universität Hannover, "werden die jungen Türken von ihren deutschen Gegenspielern und den Zuschauern gezielt mit Begriffen wie 'Kanaker-Sau' oder 'Hurensohn' provoziert."

Nachdem bei einem C-Jugendspiel ein 14-jähriger Deutsch-Türke den Schiedsrichter brutal zusammenschlug und vom Sportgericht für ein Jahr vom Spielbetrieb ausgesperrt wurde, "war das Fass übergelaufen", so Pilz. In Zusammenarbeit mit dem NFV untersuchte die Universität Hannover sämtliche 3691 Verwaltungsentscheide und 385 Sportgerichtsurteile von C- bis A-Jugendspielen der Saison 1998/99 in Niedersachsen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis.

Nichtdeutsche Fußballer werden höher abgestraft

Zwei Drittel aller Spielabbrüche wurden von den mit 15 Prozent in der Minderheit befindlichen nichtdeutschen Jugendkickern verursacht. Je schwerwiegender der Strafbestand, desto häufiger waren ausländische Spieler beteiligt. Nichtdeutsche Fußballer wurden bei vergleichbaren Taten vergleichsweise höher abgestraft.

Der 18-jährige Deutsch-Türke Kaan Karakaya ist Torwart beim Hannoverschen Sport Club: "Wenn ein deutscher Spieler eine gelbe Karte bekommt", sagt Kaan, "reißt er sich zusammen. Der Ausländer aber fühlt sich wie bei der Jobsuche benachteiligt und nimmt eine gelbe Karte persönlich. Dann regt er sich auf und bekommt die rote Karte obendrauf."

Kaan, der selber auch B-Jugendspiele pfeift, ist sich bewusst, dass insbesondere Türken "sehr viel temperamentvoller und ehrgeiziger" auf dem Fußballplatz zur Sache gehen, "weil sie sich dort profilieren wollen und dabei manchmal vergessen, dass es nur ein Spiel ist". Aber auch Kaan fragt sich oft: "Hat der Schiri jetzt ein Foul gepfiffen oder nur, weil ich Türke bin?"

Mediatoren zur Gewalteindämmung

Neben 14 anderen Kapitänen aus Hannoveraner A- und B-Jugendmannschaften nimmt Kaan derzeit an einem Pilotprojekt teil, das von der Stadt Hannover und dem Niedersächsischen Fußballverband finanziert wird. Um die Gewalt auf Fußballplätzen einzudämmen, sollen die Jugendlichen in 40 Unterrichtsstunden zu Schlichtern, so genannten Mediatoren, ausgebildet werden. Durch Gespräche und Rollenspiele sollen sie in Konfliktsituationen lernen, sich in die Rolle des Gegenspielers zu versetzen und den Ärger zu beenden, bevor er eskaliert.

Die Ziele des Projekts sind ehrgeizig. "Wenn es gut läuft", so NFV-Mann Henning Schick, "wollen wir möglichst in jeder Jugendmannschaft zwei, drei Spieler zu Schlichtern ausbilden." Der NFV hat bereits seine Statuten geändert: Vom Sportgericht gesperrte Spieler können ihre Strafe reduzieren, wenn sie an einer Mediation teilnehmen.

Das Hannoveraner Modell stößt inzwischen auch beim Deutschen Fußball-Bund auf Interesse. Derzeit verhandeln die Niedersachsen mit dem Dachverband über die Weiterfinanzierung des Projekts. Schick: "Beim nächsten Kurs planen wir, das Projekt auch auf besonders auffällige Spieler sowie Trainer und Schiedsrichter auszuweiten."

 


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