Mediziner schlagen Alarm
Deutschlands Kinder werden krank
Kinder bewegen sich heute viel zu wenig bei Sport und Spiel.
Wissenschaftler prophezeien ihnen, dass sie viel früher als ihre
Eltern gesundheitliche Probleme bekommen werden.
Karlsruhe (dpa) Eltern joggen, Kinder hocken. Nur eine Stunde
täglich bewegen sich Grundschüler in Deutschland. Der Karlsruher
Sportwissenschaftler Klaus Bös warnt daher vor einer
„gesellschaftlichen Zeitbombe“: „Kinder, die zu wenig Bewegung
haben und sich nicht ausreichend spielerisch und sportlich
betätigen, werden gesundheitliche Probleme bekommen.
Deutschland wird krank.“
Untersuchungen bei zwölfjährigen Kindern zeigen, dass 40 Prozent
von ihnen Kreislaufprobleme haben, jedes dritte Kind
Haltungsfehler, jedes zweite Muskelschwächen und jedes fünfte
Übergewicht. Kein Wunder, dass immer mehr Grundschüler über
Kopf- und Rückenschmerzen klagen. Professor Aloys Berg von
der Uniklinik Freiburg berichtet, dass Schüler mehr
krankheitsfördernde Merkmale aufweisen als noch vor zehn
Jahren: „Wir stellen vermehrt Entzündungsfaktoren fest.“
Bewegungsmangel, Fast Food und Soft Drinks haben zur Folge,
dass sich seit 1980 die Zahl der Schüler mit mindestens 30
Prozent Übergewicht um die Hälfte erhöht hat. „Heute
diagnostizieren wir Risikofaktoren, wie sie sich früher erst mit 55
zeigten, schon bei 40-Jährigen.“
Kinder werden immer ungelenker. Sie verlieren die Beherrschung
ihres Körpers und die Fähigkeit, ihre Bewegungen zu
koordinieren. „Vielen Kindern fehlen die natürlichen Lebensräume,
um ihren Bewegungsdrang ausleben und auch ihre Aggressionen
abbauen zu können“, konstatiert Bös. Motorische Kompetenz
aber brauche jeder Mensch für seine Entwicklung und sein
Wohlbefinden, auch wenn er gar keinen Sport treiben möchte.
Denn bereits 33 Prozent der Berufsschüler und zwölf Prozent der
Gymnasiasten klagten bei einer Befragung in Karlsruhe über
ständige Rückenbeschwerden im Alltag.
Die Schule als einzige Institution, die alle Kinder erfasst, kann
keine Hilfestellung leisten: Längst ist der Sportunterricht zum
Sitzenbleiber der Nation geworden. Schulsport wird gekürzt –
auch in Baden-Württemberg ist die dritte Stunde weggefallen
–
und oft nicht vertreten. Ärzte sind bei Attesten zur Befreiung vom
Sportunterricht freigebiger als für Hauptfächer. Hinzu kommt,
dass
fast die Hälfte der Sportlehrer inzwischen um die 50 Jahre alt ist.
Untersuchungen an Gymnasien haben ergeben, dass nur vier
Prozent der Mädchen und 32 Prozent der Jungen im Schulsport
schwitzen oder schnaufen. „Der Anreiz zu mehr Bewegung muss
schon im Kindergarten gesetzt werden“, fordert Bös.