2.2. 2000 (dpa)

        Mediziner schlagen Alarm

        Deutschlands Kinder werden krank
 

        Kinder bewegen sich heute viel zu wenig bei Sport und Spiel.
        Wissenschaftler prophezeien ihnen, dass sie viel früher als ihre
        Eltern gesundheitliche Probleme bekommen werden.
 

        Karlsruhe (dpa) Eltern joggen, Kinder hocken. Nur eine Stunde
        täglich bewegen sich Grundschüler in Deutschland. Der Karlsruher
        Sportwissenschaftler Klaus Bös warnt daher vor einer
        „gesellschaftlichen Zeitbombe“: „Kinder, die zu wenig Bewegung
        haben und sich nicht ausreichend spielerisch und sportlich
        betätigen, werden gesundheitliche Probleme bekommen.
        Deutschland wird krank.“

        Untersuchungen bei zwölfjährigen Kindern zeigen, dass 40 Prozent
        von ihnen Kreislaufprobleme haben, jedes dritte Kind
        Haltungsfehler, jedes zweite Muskelschwächen und jedes fünfte
        Übergewicht. Kein Wunder, dass immer mehr Grundschüler über
        Kopf- und Rückenschmerzen klagen. Professor Aloys Berg von
        der Uniklinik Freiburg berichtet, dass Schüler mehr
        krankheitsfördernde Merkmale aufweisen als noch vor zehn
        Jahren: „Wir stellen vermehrt Entzündungsfaktoren fest.“

        Bewegungsmangel, Fast Food und Soft Drinks haben zur Folge,
        dass sich seit 1980 die Zahl der Schüler mit mindestens 30
        Prozent Übergewicht um die Hälfte erhöht hat. „Heute
        diagnostizieren wir Risikofaktoren, wie sie sich früher erst mit 55
        zeigten, schon bei 40-Jährigen.“

        Kinder werden immer ungelenker. Sie verlieren die Beherrschung
        ihres Körpers und die Fähigkeit, ihre Bewegungen zu
        koordinieren. „Vielen Kindern fehlen die natürlichen Lebensräume,
        um ihren Bewegungsdrang ausleben und auch ihre Aggressionen
        abbauen zu können“, konstatiert Bös. Motorische Kompetenz
        aber brauche jeder Mensch für seine Entwicklung und sein
        Wohlbefinden, auch wenn er gar keinen Sport treiben möchte.
        Denn bereits 33 Prozent der Berufsschüler und zwölf Prozent der
        Gymnasiasten klagten bei einer Befragung in Karlsruhe über
        ständige Rückenbeschwerden im Alltag.

        Die Schule als einzige Institution, die alle Kinder erfasst, kann
        keine Hilfestellung leisten: Längst ist der Sportunterricht zum
        Sitzenbleiber der Nation geworden. Schulsport wird gekürzt  –
        auch in Baden-Württemberg ist die dritte Stunde weggefallen  –
        und oft nicht vertreten. Ärzte sind bei Attesten zur Befreiung vom
        Sportunterricht freigebiger als für Hauptfächer. Hinzu kommt, dass
        fast die Hälfte der Sportlehrer inzwischen um die 50 Jahre alt ist.

        Untersuchungen an Gymnasien haben ergeben, dass nur vier
        Prozent der Mädchen und 32 Prozent der Jungen im Schulsport
        schwitzen oder schnaufen. „Der Anreiz zu mehr Bewegung muss
        schon im Kindergarten gesetzt werden“, fordert Bös.


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