G. WagnerWenn Sport gesund sein soll, muß er auch Spaß machen
Einige Anmerkungen zu populären Vorurteilen(Aus "Olympische Jugend 11/86, Auszug)
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Verbessert gezieltes Sporttreiben den Gesundheitszustand?
Es liegen eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen vor, die ziemlich deutlich belegen, daß durch "vernünftigen" Ausdauersport die medizinisch meßbaren Indikatoren für den Gesundheitszustand (im wesentlichen des Herz-Kreislauf-Systems) bessere Werte annehmen und das psychische Wohlbefinden ansteigt. Diese Ergebnisse haben freilich schon einen Haken: Sportarten wie Gerätturnen, Gewichtheben, Golf, Kegeln, Tischtennis, Squash und Skilaufen haben aus naturwissenschaftlicher Sicht keinen spezifischen Gesundheitswert, im Gegensatz zu Laufen, Radfahren, Skilanglauf, Bergwandern, Schwimmen sowie Ballspielen wie Tennis, Basketball und Fußball. Wem Tischtennis und alpines Skilaufen Spaß machen, hat Pech gehabt: Nach den medizinischen Befunden würde er am besten anfangen zu joggen.
Freilich kann aufgrund dieser Ergebnisse auch das Joggen keine längere Lebenserwartung garantieren, denn die bekannten repräsentativen Untersuchungen haben alle mit dem Problem zu kämpfen, daß mehr oder weniger nur "erfolgreiche" Sportler untersucht werden, jedoch nicht die, die gewissermaßen "gescheitert" sind. In der Statistik nennt man dies "Selektionsverzerrung". Allgemein gilt, daß viele Merkmale, in denen sich Sportler und Nicht-Sportler unterscheiden, in den üblichen Untersuchungen nicht berücksichtigt werden können. Wenn jedoch zumindest ein Teil dieser nicht gemessenen Merkmale dazu beiträgt, daß die als Sportler klassifizierten Untersuchungspersonen länger leben als die Nicht-Sportler, muß man bei der Integration sehr vorsichtig sein. Man kann aus derartigen Untersuchungen insbesondere nicht schließen, daß für Personen, die mit Sport beginnen, um ihre Gesundheit zu verbessern, deren Lebenserwartung in dem Ausmaß steigen würde, wie sie für Sportler beobachtet wird, die bereits freiwillig Sport getrieben haben. Interpretiert man die vorliegenden Untersuchungen etwas überspitzt, kann man feststellen, daß gutverdienende, glückliche Menschen Sport treiben, gesund sind und lange leben. Es gibt freilich eine Reihe von Indizien dafür, daß Sport, der keinen Spaß macht und mit großem Widerwillen im Hinblick auf den Wunsch nach einer Verbesserung der Gesundheit betrieben wird, nur in seltenen Fällen Erfolg bringt: nämlich für die Fälle, die plötzlich Spaß am Sport "an sich" gewinnen.
Nun ist es aber eine vernünftige Verhaltensweise, wenn man die Versprechungen der sportlichen Gesundheitspropheten mit der sogenannten Gegenwahrscheinlichkeit bereinigt, die darin besteht, daß Sport im Hinblick auf Gesundheit keinen Erfolg haben kann. Mit diesem Verhalten lassen sich viele sogenannte Mißerfolge der gesundheitlichen Prävention erklären. Schnocks, ein Praktiker der Gesundheitsaufklärung, macht dies am Beispiel von Tabakrauchern deutlich: "Bis heute können Raucher sich aber auch an die realistische Aussicht klammern, daß die große Mehrheit das Rauchen ohne allzu ernste Folgen übersteht. Zu jeder Wahrscheinlichkeit gibt es eine Gegenwahrscheinlichkeit und die ist keineswegs bedeutungslos für das Verhalten. Normal ist, daß die Gesundheitserziehung viel Aufwand und/ oder Verzicht fordert, aber fast nichts versprechen kann."
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Sport, der im organisierten Wettkampf oder aufgrund einer traditionellen Wettkampforientierung normiert ist, ist wahrscheinlich der Gesundheit und dem Wohlbefinden von Erwachsenen weniger zuträglich als aus eigenen Stücken betriebener individuell dosierter Sport. Daraus ist bestimmt ein Gutteil des Erfolges von Jogging erklärbar. Da kein Mediziner angeben kann, welche Art von Sporttreiben für das Wohlbefinden einer bestimmten Person optimal ist, kann man nur schlußfolgern, daß man jedermann möglichst viele Informationen über medizinische Probleme und sportliche Möglichkeiten zur Verfügung stellen sollte, dann kann er nach seiner Fasson sportlich selig werden. Der bekannte Sportmediziner Schoberth stellt dazu ganz klar fest: "Ich glaube, man muß den Sport ganz bewußt entmedizinieren, d.h. also im Sport nicht so vordergründig die Medizin sehen, sondern den Menschen leben lassen, d.h. ihn das tun lassen, was er will. Der Arzt als Berater muß ihm sagen: Wenn Du das und das tust, gehst Du folgendes Risiko ein, wenn Du das Risiko tragen willst, ok."
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