Nervensystem und Bewegungsteuerung
- Jede zielgerichtete Bewegung ist eine koordinative Gesamtleistung des ZNS unter Führung des Großhirns.
- Die Bewegungsvorstellungen des Großhirns sind nur durch Mitwirkung untergeordneter ZNS-Einheiten in reale Bewegungen umzusetzen.
- Das Kleinhirn ist der Fertigkeitsspeicher für Sportbewegungen
Wenn wir eine eine sportliche Bewegung ausführen, so ist es uns nur bedingt möglich, alle Teilbewegungen bewusst zu kontrollieren. Aufgrund der geringen Kapazität des Denkhirns (Großhirn) für Bewusstseinsprozesse kann die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf nur sehr wenige Details einer sportlichen Aktion gerichtet sein.
Beim Tischtennisspielen wird uns bewusst sein, ob wir einen Unterschnitt- oder Topspinball spielen. Was im Körper abläuft, ist dem Großhirn - das die bewussten Vorgänge steuert - nicht bewusst.
Trotzdem läuft bei geübten Spielern die Bewegung - dank der im Kleinhirn gespeicherten Fertigkeiten (Bewegungsprogramme/Bewegungsentwürfe) - ohne Fehlleistung ab. Alle Muskeln arbeiten koordiniert.Das "Bewegungshirn" - bei schnellen Bewegungen vor allem das Kleinhirn - ist für die Feinarbeit der Muskeln bei der Bewegungssteuerung verantwortlich.
Die Lösung sportmotorischer Aufgaben erfolgt unter Führung des Großhirns ("Denkhirn") auf der Basis im Kleinhirn gespeicherter Fertigkeitsprogramme. Die Präzision der im Kleinhirn gespeicherten Programme hängt davon ab, wie umfangreich und intensiv eine Bewegung geübt bzw.trainiert worden ist. Geübte Sportler haben für die wichtigsten Bewegungsformen ihrer Sportart im Kleinhirn sehr exakt und zuverlässig arbeitende Programme gespeichert, ein Resultat jahrelangen Techniktrainings.
(nach Martin u.a.)Ablauf
"Der Entschluss zur Bewegung entsteht in den Assoziationsfeldern des Großhirns (1).
Er enthält die Information, welche Körperteile die Bewegung ausführen sollen.Dieser Entschluss wird zu den sog. motorischen Feldern (Motorcortex) geleitet (2), die für alle Muskelpartien spezielle Nervenzellen besitzen.
Diese Nervenzellen erteilen nun den für die Bewegung benötigten Bein-, Fuß-, Arm-, Handmuskeln usw. den Befehl, Kraft zu bilden (3).
Allein aufgrund dieser Befehle würde jedoch die Bewegung nur sehr grob und unzureichend koordiniert ablaufen, wobei die Ungenauigkeit durch antreibende Impulse aus dem Zwischenhirn - ein Teil des Antriebs- und Empfindungshirns (Thalamus) - noch verstärkt wird (5).
Gleichzeitig läuft der Rohbefehl auch über Querverbindungen in das Kleinhirn (6).
Dort sind für alle geübten Bewegungen Programme gespeichert, die Informationen zur Feinkoordinierung der Muskelarbeit enthalten (7).
Auf der Grundlage dieser Bewegungs(fertigkeits)programme dämpft das Kleinhirn mit hemmenden daß die Nervenzellen der motorischenFelder nur Befehle abgeben, die genau der vorgesehenen Bewegung entsprechen (9).
Ein so durch das Kleinhirn modellierter Befehl läuft über das Rückenmark zu den Muskeln der beteiligten Glieder (10) und bewirkt schließlich, daß die Muskeln wohlabgestimmt - eben koordiniert - Kraft bilden."
(Martin.u.a. S.66)
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1 Assozationsfelder;
Entschluss zur Bewegung2 Motorische Felder;
Befehl an die Muskeln3 Rohbefehl an die Muskulatur
4 Zwischenhirn
5 Positive Zwischenmeldung vom Zwischenhirn zum Großhirn
6 Mittelhirn
Meldung an das Kleinhirn7
Kleinhirn; gespeicherte Bewegungsprogramme
(Bewegungsentwürfe)8 Abgabe der Kleinhirnprogramme über hemmnende Bahnen
9 Hemmung des Rückkopplungskreises durch Kleinhirnbefehle
10 Rückenmark;
Befehl an die Muskeln
Das Kleinhirn - Fertgkeitsspeicher für SportbewegungenDie Fähigkeit, zielgerichtete Bewegungen situationsangemessen zu koordinieren, ist das Ergebnis von (sensomotorischen) Lernprozessen.
"Sehr vereinfachend skizziert wird aus psychologischer Sicht eine Bewegungsaufgabe gelöst, indem nach Wahrnehmung einer zur Bewegung auffordernden Situation und den damit verbundenen Motivationsprozessen eine Bewegungshandlung erfolgt. Dabei hängt vor allem bei schnellen Bewegungen der Handlungserfolg davon ab, inwieweit Teile einer Bewegungsfolge ohne Beteiligung des Bewußtseins - gewissermaßen automatisch - ablaufen können. Demnach müssen zur Lösung sportlicher Aufgaben Bewegungsautomatismen (Fertigkeiten) verfügbar sein, deren Programme im "Unterbewußtsein" verankert sind. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß Programme für schnelle Bewegungen im Kleinhirn gespeichert werden. Das Kleinhirn ist ein Organ, das in viele Rückmeldungssysteme eingebaut ist und dadurch die sensomotorischen Programme kontrollieren kann. Bei Versuchen, neue Bewegungstechniken zu erlernen, laufen aus den dem Kleinhirn übergeordneten motorischen Zentren des Großhirns Impulse zu den Motoneuronen im Rückenmark, um die geplante Bewegung auszulösen. Die Bewegungsausführung wird dem Kleinhirn über die Kanäle der Sinnesorgane rückgemeldet und falls Programmierungsfehler vorhanden sind, greift das Kleinhirn ein, um die Leistung zu verbessern. Dieser Mechanismus kommt aber bei schnellen Bewegungen zu spät und reicht nicht aus, um die Kleinhirnfunktion bei schnellen und exakten Bewegungen zu erklären...
Bei der Koordination schneller, zielgerichteter Bewegungen ist das Kleinhirn bereits an der Programmierung beteiligt, wozu es durch die während der Lern- und Übungsprozesse gespeicherten Erfahrungen befähigt ist. Bei gekonnten Bewegungen entladen sich schon vor Beginn der Bewegung Kleinhirn-Neurone und beteiligen sich an der Modellierung des Endprogramms. Wenn also im Großhirn der Entschluß zur Bewegungsausführung entstanden ist, existiert ein äußerst rascher und zuverlässiger Informationswechsel zwischen Großhirn und Kleinhirn.Das Großhirn kann keine Aktion in Gang setzen, ohne daß das Kleinhirn sofort darüber Bescheid weiß. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß das Großhirn das Kommandozentrum ist, aber alle Instruktionen, die es zu den Motoneuronen des Rückenmarks feuert, werden unmittelbar in die gesamte Computermaschinerie der Kleinhirnrinde eingegeben. Es wird angenommen, daß der Input in der Kleinhirnrinde unter Einsatz ihrer Gedächtnisspeicher verarbeitet wird und nach weiterer Verarbeitung in den Kleinhirnkernen zur gleichen motorischen Region des Großhirns zurückgegeben wird (Eccles 1979, 168). Von Neurophysiologen wird heute allgemein akzeptiert, daß intensive neuronale Aktivitäten Spuren im ZNS hinterlassen, die sich zunächst in sog. dynamischen Engrammen niederschlagen. Darunter versteht man eine neuronale Organisation im Gehirn, die auf einer spezifischen Musterbildung von Impulsübertragungen beruht, bis zu Stunden bestehen bleibt und nur kraft dieses anhaltenden strukturierten Vorgangs existiert. Es wird davon ausgegangen, daß die an der Impulsmusterbildung beteiligten Synapsen in der dynamischen Engrammzeit für Folgereize besonders empfänglich sind. Für das Erlernen sporttechnischer Bewegungsfertigkeiten ist es wichtig, daß zur Stabilisierung eines als richtig bewerteten und damit speicherungswürdigen Bewegungsmusters der nächste Versuch erfolgt, bevor das dynamische Engramm erloschen ist. Dann nämlich "schleift" sich das Nervenimpulsmuster durch überdauernde Veränderungen der beteiligten Synapsen ein und wird zum bleibenden Engramm, psychologisch ausgedrückt: zum motorischen Gedächtnisbesitz." (Martin u.a, S.68)
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Bewegungslehre Übersicht